Lehren und Lernen an Hochschulen sind weit komplexer als die einfache ‘Vermittlung von Wissen’. Lehre findet immer in Situationen statt. Dies hat weitreichende Bedeutung, auch für differenzsensible Lehre. Ihr geht es darum, die vielschichtigen Bedingungen der ‘Situation Lehre’ bewusst in den Blick zu nehmen.
Lehre ist kein einseitiger Übertragungsakt. Sie ist ein komplexer, dynamischer Prozess, der von einer kontinuierlichen Interaktion zwischen Dozierenden und Studierenden geprägt ist. Die Annahme einer einfachen Wissensvermittlung, bei der Dozierende lediglich eine bestimmte Methode anwenden, vernachlässigt die aktive Rolle der Studierenden und wechselseitige Beziehung von Lehren und Lernen.
Damit rücken nicht zuletzt für differenzsensible Lehre die Aspekte der partizipativen Gestaltung des gemeinsamen Lehr-Lehr-Prozesses und einer entsprechend förderlichen Atmosphäre in den Fokus.
«Besonders wichtig ist mir, dass sich eine Atmosphäre einstellt, wo alle im Raum gerne miteinander nachdenken und sich auch trauen, sich in die Diskussion einzubringen. Eine Situation, in der klar ist, was alle brauchen, um sich da auch wohlzufühlen und sich einzubringen. Und ein respektvolles Miteinander in dieser Diskussion – gehört wahrscheinlich zusammen. Und ich hab total Freude dran, wenn es dann gelingt, in diesem gemeinsamen Nachdenken wirklich auch an Punkte zu kommen, die uns neu sind, wo wir gemeinsam auch was entdecken können, weil es eben mit unterschiedlichen Perspektiven zu tun hat, die auf Texte schauen. Und das bereichert für mich dann auch Lehre, deswegen unterrichte ich auch gerne, weil es nicht nur mein eigenes Nachdenken ist über ein Thema, sondern es ist ja ein Öffnen für die anderen. Es funktioniert aber auch nur, wenn die anderen sich auch entsprechend einbringen können.»
Um die Komplexität der Lehr-Lernsituationen besser zu verstehen und daraus methodisch-didaktische Gestaltungsmöglichkeiten ableiten zu können, beziehen wir uns auf den bildungstheoretischen Ansatz des didaktischen Dreiecks als formales Strukturmodell. Es veranschaulicht die Wechselbeziehungen zwischen Lehrenden, Lernenden und dem Inhalt resp. Lehrgegenstand.
1. Ebene: Dozierende-Inhalt
2. Ebene: Dozierende-Studierende
3. Ebene: Studierende-Inhalt
“Lernen ist Handeln, und Lernen findet in Interaktionen statt.” (Klingovsky & Kossak 2007)
Verstehen wir Lernen als soziales Handeln, wird deutlich, warum die Aufforderung zum kritischen Denken auch für die Lehre bedeutsam sein muss. Kritisches Denken in der Hochschullehre bedeutet, Verantwortung für das eigene Denken und Handeln zu übernehmen (vgl. Jahn 2019). Kritisches Denken wird damit gleichermassen zur Voraussetzung und zum Ziel von Hochschullehre. Bei einer differenzsensiblen Lehre, die sich gezielt gegen Diskriminierungen richtet, verbindet sich dies mit dem Anspruch, diskriminierende Realitäten zu verändern.
«Ich hätte immer wieder gerne mehr Zeit mit Studierenden. Wenn ich jetzt davon ausgehen würde, die ideale Lehre würde immer noch unter den Bedingungen sozialer Ungerechtigkeit stattfinden, dann würde ich mir natürlich wünschen, dass ich in der Lehre irgendwie Zeit habe, genau diese Aspekte, die ich dir jetzt auch erläutert habe, irgendwie mit den Studierenden zu erarbeiten. Also, dass ich mehr Zeit hätte, um Studierende abzuholen, mit ihnen bestimmte Elemente aufzuarbeiten, ihnen zu verdeutlichen, was es bedeutet an einer Hochschule zu sein und sich mit dem jeweiligen Fach auseinanderzusetzen, mit den Inhalten, die in dem Seminar im Fokus stehen. Vor allen Dingen auch mehr Raum für Feedback, also mehr Raum für Interaktion, auch durchaus eins zu eins oder zwei Studierende mit mir als Dozentin. Und das klingt jetzt gar nicht so utopisch, oder? Aber es sind so bestimmte Faktoren, die uns stark limitieren. Ich meine Aspekte wie mehr Zeit, auch mehr Freiwilligkeit. Also, weil ich das Gefühl habe, wir sind in so einem unglaublichen Rausch von Abhaken. Leistungsnachweise werden abgehakt, Seminare werden abgehakt. Aber wirklich in eine Auseinandersetzung zu kommen, in der Personen sehen, dass es eine Form von Austausch ist, an dem sie wachsen. Nicht weil sie klein sind und gross werden müssen, sondern mehr – wie bell hooks sagt – ‘Space for Radical Openness’. Diese Idee von Lehre wirklich als etwas, wo ganz viel passieren kann, als ‘Radical Space in Academy’, das würde ich mir irgendwie wünschen. Kritisches Denken… Raum für kritisches Denken.»