An der Hochschule braucht es institutionelle Rahmenbedingungen, in denen Lehrende mit ihren differenzsensiblen Bestrebungen Resonanz und Förderung finden. Solange Veränderungen von der Initiative und dem Engagement einzelner Lehrenden abhängen, bleibt deren Reichweite beschränkt und es kann zu Überforderungen kommen.
Differenzsensible Lehre erfordert eine entsprechende Vor- und Nachbereitungszeit. Sie bedarf einer unterstützenden räumlich-technischen Infrastruktur. Ebenso braucht es vordefinierte Prozesse für gezielte Unterstützungsleistungen, wie beispielsweise jene zum Nachteilsausgleich für Studierende mit Behinderung.
Ein reines Bekenntnis zu Differenzsensibilität der Hochschule reicht deshalb nicht aus. Es braucht systematische strukturelle Veränderungen der Institution. Ansonsten, wie Sara Ahmed bemerkt, gleicht die Diversity-Botschaft einer Täuschung: «Tatsächlich können Gleichheit und Diversity als Masken dienen, um den Anschein zu erwecken, sich bereits verändert zu haben.» (Ahmed 2018: 122)
Begrenzte finanzielle Ressourcen für die Lehre sowie der hohe Zeit- und Arbeitsdruck an Hochschulen schaffen kein geeignetes Umfeld für kritisches Denken und einen verantwortungsvollen Umgang mit anderen und sich selbst.
«Also ich glaube, die grössten Hürden sind jeweils fehlende Strukturen bei der Hochschule. Es beginnt beispielsweise schon mit nicht-hindernisfreien Räumen, die Studierende manchmal in verschiedener Hinsicht ausschliessen. Wenn sie auch irgendwo weiter entfernt sind, wo man mit einem nicht-hindernisfreien ÖV nicht gut hinkommt. Es geht weiter mit Exkursionen etc. Das hat ganz viele strukturelle Implikationen, die zumeist nicht mitgedacht werden. Wenn ich das auf die Lehre alleine dann etwas begrenze, dann ist ja eine umfassende differenzsensible Lehre, welche die Bedürfnisse der unterschiedlichsten Gruppen berücksichtigt…, eine solche Lehre kann ziemlich anspruchsvoll sein. Also ich habe das Beispiel vorhin gebracht, (von) Studierenden, die Folien hindernisfrei aufbereitet haben müssen. Das ist dann für die Lehrperson auch sehr aufwendig, wenn diese keine Unterstützung erhält. Und ich glaube dafür braucht es spezialisierte Dienste. Entweder an einer Hochschule selbst, oder auch hochschulübergreifende Angebote. Und beides existiert in der Schweiz erst in den Anfängen. Also sehr häufig bleibt vieles einfach an der Lehrperson hängen, was kontraproduktiv in mehrfacher Hinsicht ist. Ich glaube, es verkennt die Situation, dass es eine strukturelle Thematik ist und es reduziert auch die Motivation vieler sehr engagierter Lehrpersonen hier mehr zu machen, einfach wenn sie alles alleine machen müssen. Ich glaube hier fehlt es an einer langfristigen Perspektive und an einer langfristigen Umsetzung der normativen Vorgaben. Denn sowohl das nationale, vor allem aber auch das internationale Recht, geben klar vor, dass ein chancengleiches Studium möglich sein muss – für alle Studierenden. Davon sind wir aber meines Erachtens immer noch ein ziemliches Stück entfernt. Vor allem vielleicht auch deshalb, weil die meisten Hochschulen ihre eigenen, ganz individuellen Wege einschlagen. Es fehlt an einer nationalen Koordination wie auch an einem nationalen Controlling. Es braucht hier beispielsweise im Bereich Behinderung klare Umsetzungskonzepte der Behindertenrechtskonvention, wie man das denn tatsächlich machen will. Es braucht Strukturen dazu und es braucht von der Bildungspolitik, dass diese das thematisiert und auch einfordert. Und ich glaube, das fehlt in der Schweiz immer noch fast komplett.»
Neben der Selbstreflexion der Dozierenden ist also auch eine institutionelle Reflexivität nötig. Dazu gehört, dass Hochschulen sich über eine diversere Zusammensetzung der Dozierenden bzw. der Hochschulmitarbeitenden insgesamt Gedanken machen. Hochschulen stehen vor der Aufgabe, bislang untervertretenen sozialen Gruppen mehr Repräsentation zu ermöglichen.
Sie sind angehalten, ihre Organisation und Studienbedingungen angemessen auf die Diversität der Mitarbeitenden und Studierenden abzustimmen bzw. zu erweitern. Exklusionsmechanismen gilt es kritisch zu überdenken und Zugangshürden abzubauen, um Chancengleichheit zu stärken.
Hochschulen brauchen institutionalisierte Räume, in denen sich Dozierende und andere Hochschulangehörige regelmässig über Aspekte von Diversität und Diskriminierung austauschen und weiterbilden können (z. B. Weiterbildungen). Dazu gehören Formate des gemeinsamen Lernens von Dozierenden, Studierenden und Menschen, die in Selbstvertretung ihre Anliegen vorbringen, beispielsweise im Sinne von ‘Communitiy Learning’ oder Weiterbildungsateliers.
«Grundsätzlich glaube ich, dass Hochschulen heute das Thema gar nicht mehr ignorieren können. Ich glaube, dass da irgendwie auch eine strukturelle Notwendigkeit ist, also dass Hochschulen sich dem Thema ‹Umgang mit Diversität› nicht mehr entziehen können. Ich würde sagen, es gibt Unterstützung für entsprechende Projekte. Auch bei uns an der Hochschule würde ich das absolut unterstreichen. Und gleichzeitig würde ich sagen, dass es aber nicht so ist, dass die Hochschule per se sagt, ‹das ist uns ein Anliegen, das wollen wir jetzt machen›. Das heisst, es ist nicht ein Diktat von oben, wo einfach klar ist, ‹hey, wir wollen eine diversitätssensible Hochschule sein›. Sondern es ist eher so, dass wenn an die Hochschulleitung herangetragen wird, ‹hey, das ist ein wichtiges Thema, wir haben da die und die Idee, das und das wäre gut›, dass dann Bereitschaft da ist, zu sagen, ‹ja, okay, das sehen wir›. Und wenn man dann sagt, ‹ja, da bräuchte es Gelder›, dann wird es schon schwieriger. Aber auch da gibt es irgendwie noch Möglichkeiten. Aber ich würde sagen, im Grossen ist differenzsensible Lehre an unserer Hochschule personenabhängig und nicht strukturell verankert.»