Wie lässt sich differenzsensible Lehre konkret realisieren? Grundvoraussetzung ist ein Nachdenken darüber, was wir als ‘normal/abweichend’ oder ‘richtig/falsch’ bezeichnen und wie dadurch Hierarchien etabliert und spezifische Ordnungen produktiv werden. Dies gilt auch in Bezug auf die Vorstellung, wie Lehre ‘normalerweise’ geht.
Angefangen bei der kritischen Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien bis hin zur Art und Weise, wie Lehre gedacht, geplant und innerhalb der Hochschule realisiert wird, geht es um eine grundlegend kritisch-analytische Auseinandersetzung mit verinnerlichten ‘Gewissheiten’, Es gilt, Selbstverständnisse in Frage zu stellen. Ebenso braucht es ein Verständnis für die Wirkungen dieses ‘Tuns’ innerhalb des Lehr-Lern-Geschehens.
Die Auseinandersetzung mit Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen in der eigenen Lehre kann Verunsicherung auslösen und von Gefühlen des Unbehagens und abwehrenden Reaktionen begleitet sein. Die Forderungen von Menschen aus weniger machtvollen Positionen werden häufig als übertrieben und weniger wichtig bewertet.
«Und ich glaube einfach erstmal mit so einer Haltung (im Sinne) von ‹diese Unterschiede spielen eine Rolle› also in diesem Sinne von ‹what differences make a difference› – ich glaube Nikita Dhawan hat das unter anderem auch geschrieben – also mit dieser Haltung da reinzugehen und dann zu wissen, okay, Anliegen meiner Lehre ist es, diesen Machtverhältnissen zu begegnen und im Sinne von sozialer Gerechtigkeit Studierenden möglichst einen Zugang zu gewährleisten, so gut es geht. Und ja, auch diesen Dominanzverhältnissen irgendwie entgegenzuwirken, die in der Lehre vorhanden sind. Und das bedeutet natürlich auch, nicht nur davon auszugehen, wie das so im Heterogenitätsdiskurs ganz oft passiert, im Sinne von: ‹Ach wir sind alle so verschieden, ach wie schön und die Verschiedenheit kommt von Aussen in die Lehre oder in den Unterricht›. Sondern zu sagen, okay, welche Anteile habe ich eigentlich daran als dozierende Person. Inwiefern produziere ich mit den Praktiken in der Lehre eigentlich genau diese Machtverhältnisse, inwiefern reproduziere ich sie? Inwiefern setze ich bestimmte Inhalte und damit auch bestimmte Personen ins Zentrum und marginalisiere damit andere? Wen lasse ich zu Wort kommen? Wer findet sich eventuell auf Abbildungen wieder? Wen spricht meine Sprache an, wie drücke ich mich aus? Und das sind alles so Aspekte, da habe ich ja jetzt grad schon etliches angesprochen, wo ich überhaupt nicht sagen würde, da bin ich on top und das passiert schon alles in meiner Lehre und ich berücksichtige alles, sondern, ich glaube, dass es erstmal einfach so eine Awareness ist, dass diese Aspekte eine Bedeutung haben und dass es meine Aufgabe ist als dozierende Person, mich damit auseinanderzusetzen und der Frage nachzugehen, okay, wie kann ich denn damit umgehen?»
Differenzsensibilität in der Lehrpraxis geht damit ‘ans Eingemachte’. Lehrende können sich durch die Infragestellung gesellschaftlich geltender Normen und als fraglos gegeben erscheinender Kategorien in den eigenen Urteilen und Handlungen verunsichert fühlen. Das kann auch bedeuten, sich selbst und die Studierenden in eine Situation des Unbehagens zu bringen.
Es ist aber auch möglich, dass es von Seiten der Studierenden zu Unverständnis oder gar Verweigerung kommt, wenn im Seminar oder in der Vorlesung eine reflexiv forschende Haltung eingefordert wird, statt auf Lösungsorientierung zu fokussieren.
Das Hinterfragen gesellschaftlicher Normen und vorgegebener Hierarchien regt auch eine Auseinandersetzung mit dem Wissen sowie der Rolle und Autorität von Dozierenden an: Differenzsensible Lehre bewegt sich in der paradoxen Situation zwischen dem selbst Eingebundensein in Machtverhältnisse und diese dekonstruieren zu wollen. Es geht hier um das eigene Rollenverständnis, darum, wie ich die Rolle als Dozierende*r ausgestalte. Ebenso ist gefordert, Lehrinhalte und Methoden auf neue Konstellationen hin weiterzuentwickeln.
«Für mich bedeutet es, dass gelehrt wird, so dass so viele Personen wie möglich teilnehmen können. Und dass Anpassungen gemacht werden für die Personen, die diese Anpassungen irgendwo benötigen. Und dass geschaut wird, dass alle teilnehmen können, sei es von zu Hause, sei es, ich weiss auch nicht, mit Zugänglichkeiten. Und vielleicht auch, dass die Dozierenden selber die Gesellschaft auch abbilden, also auch divers sind, vielleicht auch Minderheitsgruppen. Ja, das wäre so für mich das ideale Bild.»
Gute zwischenmenschliche Beziehungen in der Lehre fördern ein vertrauensvolles Klima, in dem sich alle Beteiligten als Person gesehen, respektiert und angenommen fühlen können. Solche Beziehungen ermöglichen es den Dozierenden, die Bedürfnisse und Hintergründe der Studierenden besser zu verstehen, die eigene Lehrpraxis entsprechend anzupassen und Ausschlüssen vorzubeugen.
«Eine gute Lehre hat für mich mit Inhalten und Beziehungen zu tun. Einerseits sehr studierendenorientierte Inhalte – am Interesse oder am Arbeitsalltag entlang – und Beziehung insofern, dass ich spüre, dass mein Gegenüber auf mich eingeht und auch da ist für Fragen und nicht nur das abgespielte Programm oder das vorgedachte Programm dann macht und durchzieht während des Semesters. Mir fällt eine Situation ein von einer mitstudierenden Person, die chronisch krank ist. Und da die dozierende Person einfach akzeptiert hat, dass diese Person nicht an jedem Seminar teilnehmen kann. Und (dies) auch klar kommuniziert hat gegenüber den anderen Studierenden, (im Sinne von) es hat einen Grund und es ist okay so und da muss jetzt nicht darüber getuschelt werden, wieso diese Person wieder nicht da ist, sondern, das ist abgesprochen und das ist okay so. Und ich fand das noch wichtig. Einfach zu sagen, hey, auch ohne Nachteilsausgleich oder sonst irgendwie Bescheinigung, sondern einfach menschlich.»
Was denken Sie zu folgenden Fragen, die in den Audiospuren gestellt werden: