Differenz, Diversität – worum genau geht es? Warum heisst es differenzsensibel und nicht diversitätssensibel?
Unterscheidungen sind grundlegend für unsere Orientierung, und wir lernen vorweg neue und betrachten sie in der Folge als selbstverständlich gegeben. Viele Unterscheidungen aber, die wir in unserem tagtäglichen Leben vornehmen, sind weder universell noch waren sie ‚schon immer‘ so. Insbesondere die wertenden Hierarchisierungen von Unterschieden zwischen Menschen sind historisch gewachsene Produkte sozialer Prozesse, in denen sich Macht- und Ordnungsstrukturen sowie Kämpfe um Ressourcen widerspiegeln.
Die Herstellung von Differenz und Aufrechterhaltung der Differenzverhältnisse zwischen Menschen geht mit der Konstruktion von einem ‘Wir‘ und ‘Nicht-Wir‘ einher – ein Mechanismus, der im Englischen auch unter dem Begriff ‘othering’, auf Deutsch ‘Veranderung’, gefasst wird.
Welche Personen wir warum als verschieden von uns selbst begreifen, hat sich historisch immer wieder verändert. Dominante Vorstellungen und Bewertungen (also das, was in einer Gesellschaft allgemein als ‘normal’ und ‘natürlich’ empfunden wird) haben stets eine hierarchisierende Komponente. Das heisst, sie sind mit machtvollen Zuschreibungen wie ‘gut/schlecht’, ‘richtig/falsch’ oder ‘normal/abweichend’ verknüpft. Durch die alltägliche Wiederholung und selbstverständliche Verwendung erscheinen uns diese hierarchisierenden Unterscheidungen als unbestreitbar.
«Ich glaube, auch das Verständnis, dass Universität heute nicht mehr bedeutet, dass alle reiche Eltern haben oder aus einem guten Haus kommen, sondern einfach auch das Bewusstsein, dass es ganz viele Wege gibt, heute in die Universität zu kommen. Ich finde, das wäre etwas, was man schon bei den Dozierenden ein wenig anregen könnte. Und auch dieses kategorische Denken, (dieses) «ah, wir sind ja alle gleich und wir sprechen jetzt über diese anderen», dieses Othering finde ich sehr anstrengend. Ich glaube, das fände ich spannend, dass man, bevor man über ein Thema redet, schnell in der Klasse bleibt und auch mal schaut, wo positionieren sich die Menschen, die in dieser Klasse sind. Und ich sehe, wieso es wissenschaftlich sein soll (und dass) es nicht immer um uns gehen (muss), aber ich denke, es wäre trotzdem sehr wichtig. Auch für die Diskussionen, die daraus entstehen.»
«Differenz finde ich in diesem Kontext verständlich. Differenz verbinde ich automatisch vielleicht mit Andersartigkeit und Andersartigkeit kann schnell zu diesem Othering kommen, was eh ein schwieriges Thema ist. Also ich finde es sehr schwierig, ein Wort zu finden, das nicht trennt. Aber in diesem Sinne machts schon Sinn, weil Differenz geht ja nicht davon aus, dass das hier das Normative ist und alles andere anders, sondern mehr, (dass) alles ist ein wenig unterschiedlich (ist).»
Aus differenzsensibler Perspektive werden Hochschulen als Orte verstanden, an denen solche diskriminierenden Selbstverständlichkeiten und normative Setzungen reproduziert – aber auch verändert werden können. Differenzsensibilität bezieht sich nicht auf das ‘Wissen über’ – und den ‘Umgang mit’ – Differenzen.
Vielmehr geht es darum, zu verstehen wie strukturelle und individuelle Differenzverhältnisse von uns selbst mit erschaffen werden. Zudem gilt es, sich vor Augen zu halten, dass die Wahrnehmung von Differenz nicht auf abgeschlossenen Tatsachen beruht, sondern das Resultat historisch gewachsenen Differenzierens ist. Forschungs- und Bildungsinstitutionen übernehmen hier eine wichtige Rolle.
Differenzsensibilität in der Hochschullehre meint nicht, vorhandene Differenzen einfach wahrzunehmen. Es geht darum, die in der Differenzwahrnehmung wirkenden Machtverhältnisse und die damit einhergehenden Ein- und Ausschlüsse und komplexen Diskriminierungsformen zu erkennen und zu reflektieren.
Wir erachten den Begriff ‘differenzsensibel’ als präziser als ‘diversitätssensibel’, weil er solche Aspekte bei der Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt (Diversität) mitberücksichtigt.
Eine differenzsensible Lehre erfordert ein unterstützendes institutionelles Umfeld innerhalb der Hochschulen. Der Übergang von einer nicht-differenzsensiblen zu einer differenzsensiblen Lehre muss deshalb mit eine generellen Transformation der Hochschulen einhergehen.
Es geht dabei insbesondere um die Bereitstellung der notwendigen räumlichen und technischen Infrastruktur, Beratungsangebote, Weiterbildungen und Sensibilisierungsmassnahmen auf allen Ebenen sowie ausreichend Zeit und Raum für die Lehrenden, um notwendige Entwicklungs- und Reflexionsprozesse anzugehen.