Differenzsensibel zu sprechen ist ein fortlaufender Lernprozess. Dabei kann die Sprache je nach Adressat*in unterschiedlich aussehen. Es gibt nicht die eine richtige diskriminierungskritische Sprachform. Welche Form verwendet wird, hängt immer vom Kommunikationskontext ab.
Die meisten Hochschulen stellen für ihre Mitarbeitenden Leitfäden für ein differenzsensible Sprache zur Verfügung (vgl. hierzu auch das Thema ‘Sprachleitfäden kennen und sich mit ihnen auseinandersetzen’ im Bereich ‘Praxis_Stimmen’ auf dieser Webseite). Differenzsensible Sprache betrifft die Hochschule als Ganzes. Unter anderem im Lehr-Lern-Geschehen kommt eine differenzsensible Sprache ganz direkt in Anwendung. Differenzsensibles Sprachhandeln in der Lehre ist bestrebt, jede Art von Diskriminierung abzubauen. Sie ist kritisch gegenüber jeder Form von Diskriminierung und damit z. B. geschlechtergerecht, rassismuskritisch und inklusiv gegenüber Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen Krankheiten.
Über differenzsensible Sprache und ihr Anliegen ins Gespräch zu kommen, kann helfen, ihre Bedeutsamkeit zu verstehen. Es geht nicht um ‘Sprechverbote’, sondern um ein empathisches, reflektiertes und vorsichtiges Sprechen.
«Was ich auch mache und was ich sehr wichtig finde – was auch ein Prozess für mich war, das zu tun – ist, dass ich über Sprache (spreche). Also wie wir miteinander reden. Weil es auch sehr schnell, gerade bei unseren Themen, zu Verletzungen kommen kann. (Gerade bei) Personen, die trans sind oder nicht-weiss sind, oder (sonst) durch normative, hegemoniale Statements verletzt werden. Und da ist es mir wichtig, auch am Anfang zu sagen, dass wir in gesellschaftlichen Verhältnissen leben, die von vielen Formen von Gewalt durchzogen sind und es fast nicht möglich ist – oder vielleicht auch nicht möglich ist – diskriminierungsfrei, gewaltfrei zu sprechen. Aber, dass ich mir wünsche, – vom Rahmen, von den Studierenden, von uns allen – dass wir vorsichtig formulieren, empathisch formulieren, nachdenken, bevor wir sprechen. Und auch, wenn was unangenehm ist, dass wir es aussprechen, dass es keine falschen Fragen gibt, keine falschen Statements, aber auch möglichst empathisch miteinander, dass man ins Gespräch kommen kann, gemeinsam lernen kann. Dass auch klar ist, manchmal flasht Lernen und es ist total cool und fühlt sich grossartig an, was man da wieder verstanden hat und manchmal ist es super unangenehm und man ist unwohl in der Haut. Aber beides ist eigentlich Lernen und Transformation und die verschiedenen Formen von Lernen und Denken und Sprechen sollten Platz haben im Raum. Das ist mir sehr wichtig, weil ich denke, es hat sich in den letzten Jahren auch viel verändert in den Geschlechterverhältnissen. Viel wurde in Frage gestellt an, an Heteronormativität, Cisnormativität, weisser Suprematie u.s.w. und das ist einerseits sehr toll, weil…, wie soll man Herrschaftsstrukturen verändern, wenn man sie gar nicht sieht, und andererseits führt es auch dazu, dass manche Personen dann Gewissheit suchen, das ist jetzt richtig und das ist falsch und du musst es so machen. Oder andere Personen Angst haben, was zu sagen. Und beides möchte ich eigentlich nicht. Ich versuche sehr dezidiert einen Rahmen zu eröffnen, in dem Personen sagen können, was sie denken –empathisch, reflektiert, vorsichtig – aber sagen können, was sie denken, fragen können, was sie fragen wollen, auch dann, wenn sie das Gefühl haben, etwas ist richtig (oder) falsch, (dass sie) das aussprechen, aber eben fragend, reflektiert, empathisch. Das ist mir sehr wichtig, dass ich diesen Rahmen mache – eigentlich am Anfang von jeder Lehrveranstaltung.»
«Ich finde gerade in den Gender Studies und auch, wenn ich an Institutionen unterrichte, wo Veranstaltungen vielfach verknüpft sind, dass halt auch die disziplinären Hintergründe da total verschieden sind, Es gibt ja ganz unterschiedliche Kulturen – also Sprach-, Sprechkulturen. Und ich glaube, dass es deswegen so wichtig ist, das explizit anzusprechen und zu sagen, wie ich es mir wünschen würde. Und zu fragen: Wie seht ihr das? Und dann darüber auch ins Gespräch zu kommen. Oftmals hat man dann sofort die erste gesellschaftstheoretische Diskussion, die man gleich nutzen kann und sich überlegt, okay, warum gibt es hier verschiedene Positionen? Können wir die mal erläutern, können wir die mal sichtbar machen? Was bedeutet denn überhaupt Inklusion, Diversität, Exklusion? Also das kann man ja, direkt nutzen. Und eben auch nochmal diesen Punkt der Fehlerfreundlichkeit wirklich zu betonen. Also, dass wir einen Stil in einer Art und Weise finden müssen, wie wir uns darauf gegenseitig aufmerksam machen, weil es kaum fehlerfreies Sprechen gibt in dem Sinne. Dann müsste ja der Standard für alle klar sein und das auch sichtbar zu machen als etwas, was in Bewegung ist.»
Für das Lehr-Lern-Geschehen bedeutet dies, keine verletzenden und diskriminierenden Begriffe zu verwenden. Die explizite sensible Auseinandersetzung mit Sprache und ihrem realitätsgestaltenden Einfluss macht deutlich, dass verletzende und diskriminierende Begriffe in der Lehrsituation keinen Raum haben. Das verlangt, sensibel für Stereotypisierungen, pauschalisierende Zuschreibungen und abwertende Fremdbezeichnungen zu sein – etwa aufgrund von Aussehen, Lebensweise oder Religion (vgl. die Themen ‘Begriffe und Sprachbilder mit kolonialer Vergangenheit’, ‘Epistemische Gewalt’, ‘Intervenieren ohne Sprachverbote’ sowie ‘Verletzende Sprache’ im Bereich ‘Praxis_Stimmen’).
Mit Personenbezeichnungen können Differenzen unreflektiert festgeschrieben werden. Oder mit ihnen können machtkritisch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Ungleichheiten hervorbringen, anerkannt und damit hinterfragbar gemacht werden – so wie differenzsensible Lehre es beabsichtigt. Ein Beispiel hierfür ist die Selbstbezeichnung ‘Menschen mit Behinderung’, die die soziale Dimension des Behindert-Werdens berücksichtigt.
Differenzsensible Lehre erkennt die Selbstbezeichnungen von Menschen an. Sie baut auf dem Grundsatz auf, Personen so zu benennen, wie sie sich das wünschen. Dies betrifft zum Beispiel die Frage der Anrede und mit welchem Pronomen und Namen Personen angesprochen werden möchten (siehe ‘Differenzsensible Sprache und Anrede’ sowie ‘Pronomenrunde’ im Bereich ‘Praxis_Stimmen’ auf dieser Webseite).
«Um vielleicht ein Beispiel aus dem Bereich Behinderung zu bringen, ich glaube es ist sehr relevant, ob ich zum Beispiel von Menschen mit Behinderung spreche, oder von Menschen mit Beeinträchtigung. Je nach Formulierung fokussiere ich viel mehr das Individuum mit der Beeinträchtigung, also die Unterschiede, oder ich fokussiere vielmehr auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, welche die Ungleichheiten hervorbringen. Also vielleicht noch etwas konkreter, eine Beeinträchtigung meint die individuelle Limitierung, die jemand hat. Also wenn jemand zum Beispiel nicht laufen kann, oder wenn jemand nicht sehen kann und man spricht in diesem Zusammenhang auch vom individuellen oder medizinischen Modell von Behinderung. Eine Behinderung hingegen meint, gegenüber der Beeinträchtigung, gemäss Definition der UN-Behindertenrechtskonvention das Wechselspiel zwischen der individuellen Beeinträchtigung und den gesellschaftlichen Umweltfaktoren. Also erst im Wechselspiel zwischen Umwelt und Individuum, also wenn jemand, der nicht laufen kann, auf eine Treppe trifft, entsteht überhaupt eine Behinderung. Wenn ich nun also weiterhin am Begriff der Beeinträchtigung festhalte – wie das immer wieder geschieht, je nach Fachrichtung – verwende ich mehr oder minder bewusst eine apolitische Formulierung, welche auf den Unterschied und nicht auf die Ungleichheit fokussiert. Das vielleicht das Beispiel für Sprache.»
Im deutschen Sprachraum werden die Anliegen, differenzsensibel zu sprechen und Sprache barrierefrei zu gestalten oft gegeneinander ausgespielt. Dabei haben beide Ansätze dasselbe Ziel, nämlich Teilhabe. Hinweise dazu, wie etwa gendergerechte Sprache barrierefrei gestaltet werden kann, finden Sie unten in den weiterführenden Materialien.